Glasindustrie
Der Bayerische Wald und der Šumava blicken auf eine 600-jährige Glasgeschichte zurück. Das Glasgewerbe gehört zu den ältesten Erwerbsformen des Waldlandes. Glashütten wurden seit dem 14. Jahrhundert auf böhmischer, später auf bayerischer und österreichischer Seite errichtet. Böhmische Glasmacher wanderten aus dem Gebiet um Winterberg nach Bayern ein und gründeten die ersten Glashütten in Rabenstein (1421) und Frauenau (1420).
Der Wald bot ideale Voraussetzungen für die Entwicklung dieses Industriezweiges, denn er lieferte die wichtigsten Rohstoffe Holz und Quarz in Hülle und Fülle. Holzpottasche als für die Schmelze notwendiges Flußmittel wurde von sogenannten "Aschenbrennern" gebrannt. Der Quarz für die Glasmasse - auch "Kies" genannt - wurde entweder im Wald gesammelt oder in Steinbrüchen abgebaut. Lediglich Kalk und Ton für die Herstellung der feuerfesten Schmelzhäfen mussten aus Schwandorf, Kelheim oder der Gegend zwischen Schüttenhofen und Horaschdowitz bezogen werden. Zur Feuerung der Glasöfen wurde ebenfalls Holz benötigt. In der Poschinger-Hütte in Frauenau wurden allein im Jahr 1761 585 Klafter Holz im Glasofen verheizt und 1300 Klafter zu Pottasche verbrannt. Das Gewichtsverhältnis des Fertigproduktes Pottasche zum Holzeinsatz entsprach einer Relation von 1:2000. Es ist wenig erstaunlich, dass sich bereits im 18. Jahrhundert die Versorgung der Glashütten mit Pottasche infolge von Holzmangel als schwierig herausstellte. Das Aschebrennen in den Wäldern wurde zu dieser Zeit verboten, so dass Pottasche aus anderen Regionen, Ungarn etwa, zugekauft werden musste. Hatte eine Glashütte den Holzvorrat in ihrer Umgebung verbraucht, wurde sie an eine andere Stelle in den Wald verlegt. Solche Umsiedelungen fanden je nach Holzreichtum in Abständen von 25 bis 70 Jahren statt. Ortsnamen wie "Althütte", "Neuhütte", "Oberhütte" oder "Unterhütte" belegen diesen Prozess. Dass über Jahrhunderte hinweg unbeschränkt Raubbau am Wald betrieben werden konnte, erklärt sich aus den fehlenden Transportmöglichkeiten für diesen Rohstoff. Bis zum Bau von Kanälen zur Holztrift war Holz fast wertlos, was folgendes Beispiel belegt. Im Jahre 1617 musste die Gerlhütte (Seewiesen) nur 7 Groschen an Hütten- und Waldzins entrichten, aber 30 Groschen für die Pacht eines Fischwassers aufbringen. Den einzigen wirtschaftlichen Nutzen, den die Waldbesitzer aus ihren riesigen Beständen ziehen konnten, waren Zinsleistungen von Glashütten.
Die Phase der wandernden "Waldglashütten" reicht bis ins 16. Jahrhundert. Bis dahin stellten die Glasmacher hauptsächlich Spiegelglas, Butzenscheiben und "Patterl" genannte Rosenkranzenperlen her, die allerdings nicht mit venezianischem Glas konkurrieren konnten. Das änderte sich erst, als gegen Ende des 17. Jahrhunderts das "Böhmische Kristall", ein kristallklares Kreideglas, erfunden wurde. Für die bayerischen und vor allem böhmischen Glashütten brach damit eine Blütezeit an. Glasmacherfamilien wie die von Poschinger, die Hafenbrädl, Abele oder Gerl entwickelten sich zu regelrechten Dynastien.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts entstanden im Šumava fast 40 neue Glashütten. Gleichzeitig stieg der Bedarf an Holz, das zu einem wertvollen und teuren Gut wurde. Der Holzverkauf versprach den Waldbesitzern bald wesentlich höhere Einnahmen als die Zinseinkünfte aus den Glashütten. Fürst Schwarzenberg ließ als größter Waldbesitzer im Böhmerwald seine Ländereien zwischen Bergreichenstein und Oberplan mit dem Bau des Schwarzenberg-Schwemmkanals für die Holztrift erschließen. So geriet die Glasindustrie durch die steigenden Holzpreise und die Konkurrenz der aufkommenden Holzwirtschaft. Anfang des 19. Jahrhunderts in eine heftige Krise, die sie aber bald überwand. Die schwer zu beschaffende Pottasche wurde durch Soda, Glaubersalz und chemische Stoffe ersetzt. Mit dem Ausbau des Schienennetzes im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts konnte hochwertiger Quarzsand aus der Lausitz, aus Holland oder Belgien eingeführt werden. Um 1880 stellten die meisten Hütten ihre Öfen auf Kohlefeuerung um. Die Eisenbahn brachte Steinkohle aus Pilsen und Braunkohle aus dem nordböhmischen Revier in das Waldgebiet. Die einst feste Bindung an die örtlichen Rohstoffe lockerte sich. Die Glashütten waren unabhängig von ihrem Standort geworden, verließen die tiefen Waldgebiete und siedelten sich an den Eisenbahnlinien an.
Durch die veränderten Standortbedingungen und die rasante technische Entwicklung der Glasherstellung fiel die ungünstige Verkehrs- und Marktlage des Bayerischen Walds und des Šumava zunehmend ins Gewicht. Während die Hohlglasproduktion (Kelchgläser, Zier-, Kunstglas) bis nach dem Zweiten Weltkrieg von jeglicher Mechanisierung verschont blieb, musste sich die automatisierte Flachglasmassenproduktion (Spiegelglas) sukzessive neue, rentable Standorte außerhalb des Waldgebirges suchen. Die letzten Flachglashütten im Bayerischen Wald stellten den Betrieb vor dem Zweiten Weltkrieges ein. Für die traditionelle Hohlglasproduktion spielten die steigenden Produktionskosten kaum eine Rolle. Das handwerkliche Geschick der Glasbläser, die Vielfalt ihrer hochwertigen Produkte und die vergleichsweise geringen Lohnkosten kompensierten die nachteilige Verkehrslage.
Im Šumava ist dagegen von sechs Jahrhunderten Glasgeschichte wenig übriggeblieben. Die Tradition von über 100 Glashütten und zahlreichen Veredelungsbetrieben hat allein in der Glashütte Eleonorenhain, der Firma Okula in Neuern und den Glasschleifereien in Adolph und Annathal überlebt. Gegenwärtig arbeiten nur noch die Betriebe in Annathal und Neuern und das im Herbst 1997 gegründete Zweigwerk der bekannten Schott-Zwiesel Glaswerke AG in Husinec bei Prachatice. Im Oberen Mühlviertel stellte die letzte Glashütte (Sonnenwald) ihren Betrieb zur Jahrhundertwende ein.